Frühförderung von Kindern: spielerisch, alltagsnah und ohne Druck

Kinder spielen gemeinsam in der Turnhalle, bewegen sich und haben Spass.

Was brauchen Kinder, um sich gut zu entwickeln? Ganz sicher keine Geigenstunde im Krabbelalter. Frühkindliche Förderung beginnt nicht in Intensivkursen, sondern beim Frühstückstisch, im Wald, in der Waschküche. Sie ist Teil des Alltags – und viel einfacher, als viele denken.

Frühkindliche Förderung – was ist das?

Frühförderung von Kindern umfasst die Zeit von der Geburt bis zum Kinder­garteneintritt. Es ist die Phase, in der sich das kindliche Gehirn und der Körper rasant entwickeln. Und obwohl Fach­personen verschiedene Entwicklungs­bereiche benennen (motorisch, sprachlich, kognitiv und sozial-emotional), läuft das in der Realität Hand in Hand.

Ganzheitliche Entwicklung

«Je jünger das Kind, desto schwieriger sind die Bereiche zu trennen», sagt Dr. med. Lena Pfender, Entwicklungs­pädiaterin am Kantonsspital Winterthur und in der Beratung bei der Stiftung 'Für das Kind. Giedion Risch.' «Das funktioniert nur theoretisch – in der Praxis gehört alles zusammen und fördert im Zu­sammenspiel die ganzheitliche Entwicklung.»

Manche Kinder brauchen mehr

Frühkindliche Förderung tut allen Kindern gut. Manche jedoch, etwa solche mit Entwicklungsverzögerungen oder besonderen Bedürfnissen, profitieren zusätzlich von gezielter Unterstützung durch Fachpersonen aus der Heil­pädagogik, Ergotherapie, Physiotherapie oder Logopädie.

Frühkindliche Förderung im Alltag: das Leben als Lernfeld

Kinder wollen in der Regel von sich aus lernen. Ihr Antrieb ist die Neugier. Und der beste Ort, diese zu stillen, ist der Alltag: beim Einkaufen, Kochen, Wäsche­aufhängen. Wer ein Kleinkind dabei beobachtet, wie es sich in einen Haufen Wäscheklammern vertieft oder auf dem Weg zum Supermarkt auf jeden grossen Stein klettert, sieht: Das ist Förderung.

Das normale Leben ist eine super Förderung. Dort steckt alles drin: neue Wörter, Bewegung, soziale Herausforderungen, Sinneseindrücke.
Dr. med. Lena Pfender, Entwicklungspädiaterin am Kantonsspital Winterthur und in der Beratung bei der Stiftung 'Für das Kind. Giedion Risch.'

Beziehung essenziell für die Frühforderung

Ein Schlüssel ist die Beziehung. Kinder profitieren von einer sicheren Bindung und guten Beziehung zu ihren Bezugspersonen. Sie sind der Hafen, von dem aus Kinder losziehen, um die Welt zu entdecken – und zurückkehren, wenn's ihnen zu viel wird.

Frühförderung ohne Leistungsdruck: fördern, nicht überfordern

Der Begriff «Frühförderung» weckt bei manchen Eltern ungute Bilder: Früh­englisch, Vorschul-Mathe, Geigen­unterricht mit 3. Doch genau das ist ein Missverständnis. Viele denken bei Förderung an Üben, an Leistungsziele. Aber Reifung kann man nicht beschleunigen. Kinder brauchen Zeit – und ein förderliches Umfeld, das sie entdecken lässt.

Nicht «möglichst früh möglichst viel»

Druck kann Entwicklung sogar hemmen. Wenn Kinder überfordert sind, stellt es ihnen ab. Frühkindliche Förderung bedeutet nicht «möglichst früh möglichst viel», sondern: das Richtige zur richtigen Zeit. Und das ist oft einfacher als gedacht.

Strukturierte Angebote: Unterstützung für den Alltag

Nicht alle Kinder leben in einem Umfeld mit Garten, Wald in der Nähe und Spielplatz ums Eck. Und nicht alle Eltern haben jeden Tag Energie, alle Entdeckungsräume selbst zu öffnen. Genau da helfen strukturierte Angebote wie etwa Bewegungsstunden für Kleinkinder oder musikalische Spielgruppen.

Impulse bieten

Solche Angebote bieten neue Reize, soziale Kontakte und begleiten Kinder in ihrer natürlichen Entdeckungsfreude. Und sie entlasten Familien – nicht durch mehr Programm, sondern durch passende Impulse. Entscheidend ist: Das Angebot soll zum Kind und zum Alltag passen, nicht umgekehrt.

Bewegung macht stark – körperlich und seelisch

Kinder sind geborene Bewegungs­menschen. Krabbeln, klettern, rennen, balancieren – so erleben sie ihren Körper und lernen, ihn zu steuern. Bewegung ist kein 'Extra', sie ist elementar. «Der Körper wächst und das Kind muss durch Erfahrungen lernen, damit umzugehen», erklärt Lena Pfender. «Das passiert nicht durch Zuschauen, sondern durch Tun. Und das braucht Raum.»

Bewegungsangebote nutzen

Bewegung im Alltag ist wichtig. Aber auch gezielte Bewegungsangebote, ob drinnen oder draussen, mit oder ohne Musik, können Kindern helfen, Koordination, Selbstvertrauen und Freude an Bewegung zu entwickeln.

Musik berührt und bewegt

Auch Musik spielt eine besondere Rolle in der frühkindlichen Förderung. Sie regt die Sinne an, fördert Sprache, stärkt das soziale Miteinander und macht einfach Freude. Oft geht sie Hand in Hand mit Bewegung und bringt den ganzen Körper in Schwung.

Erleben statt üben

«Musik darf erlebt werden – mit dem ganzen Körper», sagt Lena Pfender. «Stampfen, tanzen, träumen – das fühlt sich leicht an und tut gut.» Ein Reim beim Zähneputzen, ein Rhythmusspiel im Wohnzimmer. So einfach kann musikalische Frühförderung im Alltag aussehen. Und nein: Dazu muss das Kind noch kein Instrument lernen. Es geht ums Erleben, nicht ums Üben.

Medienkonsum

Einen negativen Einfluss kann hingegen der Medienkonsum haben: Ist dieser übermässig, wirkt er sich in der frühen Kindheit nachweislich negativ auf die Entwicklung aus. Das Problem ist nicht (nur), was auf dem Bildschirm passiert – sondern, was in der Zeit nicht passiert: Bewegung, Sprache, soziale Interaktion, sinnliche Erfahrungen.

Greentime statt Screentime

Bei Kindern bis zwei Jahre möglichst keine Medien anbieten, danach beziehungsweise ansonsten Bildschirmzeit bewusst und begrenzt einsetzen: mit Blick auf ein gutes Verhältnis von Screentime und Green­time, wobei sich Kinder wesentlich mehr bewegen und in der Natur sein sollten als am Bildschirm (mindes­tens 3 Stunden versus wenige Minuten pro Tag). Draussen spielen, drinnen tanzen, mit den Händen werken – so wächst Entwicklung.

Vertrauen statt To-do-Liste

Frühkindliche Förderung braucht keine Checkliste, sondern Beziehung, Zeit und Vielfalt. Eltern müssen nicht alles perfekt machen. Oft ist hilfreich, sich selbst zu fragen: «Was habe ich als Kind gern gemacht?» Die Antwort kann ein guter Kompass sein. Eltern dürfen sich eingeben – mit dem, was sie selbst gerne tun. «Ob Gitarre spielen, im Wald toben oder kochen – Kinder lassen sich mitreissen, wenn Erwachsene begeistert sind», ermutigt Lena Pfender. Manchmal gehe es auch nicht darum, etwas mit Kindern zu machen, sondern eher Kinder machen zu lassen. Meist suchen sie sich sinnvolle, entwicklungsfördernde Tätigkeiten. Hier brauche es auch Vertrauen und Offenheit von Eltern, sich von den Kindern leiten oder sie allein machen zu lassen.

Förderung beginnt zu Hause – und im Herzen

Ob Wäsche aufhängen, Laub sammeln oder ein Lied singen: All das kann Frühförderung sein. Entscheidend ist, wie wir es tun: mit Liebe, Neugier, Humor und Vertrauen. Denn Kinder brauchen keine perfekten Programme, sie brauchen Menschen, die sie begleiten.

Über die Autorin Dr. med. Lena Pfender

Dr. med. Lena Pfender ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin mit den Schwerpunkten Entwicklungspädiatrie sowie psychosoziale und psychoso­matische Medizin. Sie arbeitet als Oberärztin in der Entwicklungspädiatrie und als Ärztliche Leitung der Fachstelle Sonderpädagogik am Sozialpädiatrischen Zentrum des Kantonsspitals Winterthur. Zusätzlich ist sie in Zürich für die Stiftung Für das Kind. Giedion Risch tätig – mit Fokus auf Diagnostik, Beratung und Psychotherapie.

Als Mutter und Ärztin erlebt sie täglich, wie sehr Kinder von Beziehung, Bewegung und sinnlichen Erfahrungen profitieren. In ihrer Freizeit – und wenn der Trubel des Alltags es zulässt – ist sie gern mit ihren Kindern draussen unter­wegs und findet verschie­de­ne Erfah­rungen, sei es das Spielen am Bach oder das Bestaunen von Zirkusvorstellungen, auch als Erwachsene noch sehr bereichernd.

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