Hormonersatztherapie in den Wechseljahren: sinnvoll oder riskant?
Schlaflos, gereizt, schweissgebadet. Wenn die Wechseljahre den Alltag auf den Kopf stellen, ist Hilfe gefragt. Hormonersatztherapie, ja oder nein? Hier gibt’s keine Pauschalantwort, aber Infos, die helfen abzuwägen.
Wenn der Körper in Richtung Menopause steuert
Mit den Wechseljahren sinken der Östrogen- und der Progesteronspiegel – weil der Vorrat an Eizellen in den Eierstöcken zur Neige geht, im späteren Verlauf auch der Testosteronspiegel. Ohne Eizellen gibt es nämlich keinen Eisprung mehr und damit auch keine regelmässige Hormonproduktion in den Eierstöcken.
Prozesse aus dem Gleichgewicht
Diese hormonelle Veränderung bringt vieles aus dem Gleichgewicht. Hitzewallungen, Schlafprobleme, Stimmungsschwankungen oder Scheidentrockenheit sind einige der möglichen Folgen. Nicht jede Frau spürt diese Veränderungen gleich stark – doch wer leidet, sucht nach Linderung. Vielleicht durch eine Hormonersatztherapie?
Hormonersatztherapie: Was ist das überhaupt?
Eine Hormonersatztherapie soll die Wechseljahrbeschwerden lindern. «Ziel ist, die Lebensqualität wiederherzustellen», erklärt Dr. med. Karin Camastral, Leitende Ärztin an der Frauenklinik des Kantonsspitals Winterthur. «Wenn eine Frau von Hitzewallungen und Schlafstörungen überrollt wird, ihre Stimmung oder ihr Sexualleben stark leiden, können Hormone helfen. Viele Frauen berichten, dass sie sich dank Hormonersatztherapie wieder sich selbst fühlen», erzählt die Gynäkologin.
Über die Expertin Dr. med. Karin Camastral
Schutzfunktionen für den Körper
Doch es geht noch um mehr als die Alltagsbewältigung: Die Hormonersatztherapie soll uns nämlich auch schützen. Denn mit sinkendem Östrogenspiegel steigt das Risiko für Osteoporose und damit für Knochenbrüche. Ausserdem senkt eine Hormonersatztherapie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz – besonders, wenn die Wechseljahre vor dem 45. Lebensjahr eintreten.
Frühzeitige Wechseljahre
Fachpersonen sprechen von einer frühzeitigen Menopause zwischen 40 und 44 Jahren. Vor dem 40. Lebensjahr gilt es als eine «prämaturen Ovarialinsuffizienz».
Welche Hormone kommen bei der Hormonersatztherapie zum Einsatz?
Die Basis der Behandlung bildet Östrogen. Ist die Gebärmutter noch vorhanden, verschreiben Ärztinnen zusätzlich Progesteron – um zu verhindern, dass sich die Gebärmutterschleimhaut durch das Östrogen übermässig aufbaut. Denn das würde das Risiko für Gebärmutterkrebs erhöhen.
Progesteron bei fehlender Gebärmutter
Auch Frauen ohne Gebärmutter profitieren manchmal von Progesteron – etwa bei ausgeprägten Schlafstörungen. «Ich gebe es in solchen Fällen gerne abends zum Schlucken, weil es eine schlaffördernde Wirkung hat», erklärt Karin Camastral.
Testosteron – eine Option bei Libidoverlust
In ausgewählten Fällen setzen Ärztinnen auch Testosteron ein, etwa bei Libidoverlust. «Ungefähr bei der Hälfte wirkt es positiv», so Karin Camastral, «bei anderen macht es einfach fettigere Haut.» In der Schweiz gibt es jedoch kein offiziell zugelassenes Testosteronpräparat für Frauen. Manche Apotheken stellen es als sogenannte Magistralrezeptur her – entsprechend sorgfältig erfolgen die Abklärungen und die Überwachung.
Wie werden Hormone verabreicht und warum ist das relevant?
Pflaster, Gel oder Tablette? Besonders schonend ist die Anwendung über die Haut, also als Gel oder Pflaster. Diese Darreichungsform umgeht die Leber und hat daher ein deutlich geringeres Thromboserisiko als Tabletten. «Für viele Patientinnen ist das ein gutes Argument, vor allem wenn Risikofaktoren vorliegen», sagt die Gynäkologin.
Bioidentische Hormone: nahe an den körpereigenen Hormonen
Bioidentische Hormone haben, im Gegensatz zu synthetischen Hormonen, die gleiche chemische und molekulare Struktur wie jene Hormone, die der menschliche Körper selbst produziert. Das macht sie besonders verträglich – und bei vielen Frauen beliebt. Estradiol, Estriol (beides Östrogene), Progesteron und Testosteron sind bioidentische Hormone.
Individuelle Wahl
Ein weiterer Vorteil ist, dass bioidentische Hormone häufiger zur Abgabe über die Haut erhältlich sind und das Thrombose- und Brustkrebsrisiko geringer ist. «Aber auch diese Wahl ist sehr individuell», berichtet Karin Camastral.
Wann starten, wie lange einnehmen?
Der allerspäteste Zeitpunkt für den Start einer Hormonersatztherapie ist maximal zehn Jahre nach der Menopause, danach steigen die Gesundheitsrisiken wie Herzinfarkt oder Schlaganfall deutlich. Heute setzen viele Frauen bereits früher auf die Therapie, meist schon in der Perimenopause. «Gerade wenn die Beschwerden stark sind, tut eine frühe Behandlung vielen Frauen gut», erklärt Karin Camastral.
Wie lange sollte die Hormonersatztherapie dauern?
Eine pauschale Antwort gibt es nicht. «Manche Frauen nehmen Hormone nur für ein paar Jahre, andere länger, wenn der Nutzen klar überwiegt», so die Gynäkologin. Sie empfiehlt, die Therapie drei bis fünf Jahre durchzuführen, wenn es der Frau gut damit geht. Wichtig sei, die Behandlung jährlich zu überprüfen: «Wir schauen dann gemeinsam, ob die Therapie noch nötig ist, gut wirkt oder ob wir aufgrund von Risikofaktoren etwas anpassen müssen.»
Nutzen und Risiken der Hormonersatztherapie
Hormonpräparate können helfen, Beschwerden deutlich zu lindern und die Lebensqualität zu erhöhen. Dies in einer Lebensphase, in der Frauen schliesslich noch voll im Leben stehen und dieses aktiv gestalten und bewusst geniessen sollten. Auch das Risiko für Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz lässt sich mit einer Hormonersatztherapie senken.
Hormonersatztherapie: Nicht immer die passendste Option
Wichtig ist jedoch eine differenzierte Betrachtung. Nicht jede Frau profitiert gleich, und es gibt Faktoren, die dagegensprechen, zum Beispiel Brustkrebs, Eierstockkrebs, eine bereits eingetretene Thrombose oder ein Schlaganfall oder gewisse Gerinnungserkrankungen.
Risiko Brustkrebs
Die Erhöhung des Brustkrebsrisikos unter einer Hormonersatztherapie hängt unter anderem von der Art der Hormone und der Anwendungsdauer ab. Hier gilt es aber zu bedenken, dass Übergewicht, Alkoholkonsum und mangelnde Bewegung deutlich stärkere Risikofaktoren für Brustkrebs sind. Eine reine Östrogentherapie, die bei Frauen ohne Gebärmutter angewendet werden kann, erhöht das Brustkrebsrisiko nicht.
Risiko Thrombose
Auch die Thrombosegefahr spielt eine Rolle. Wird Östrogen geschluckt, erhöht sich das Risiko für Blutgerinnsel. Gel oder Pflaster, also die Anwendung über die Haut, umgehen diesen Effekt.
Bei Patientinnen mit erhöhtem Thromboserisiko empfehle ich deshalb Hormon-Gels oder -Pflaster.
Was gibt es für Alternativen?
Nicht für jede Frau ist eine Hormonersatztherapie die richtige Wahl – sei es aus medizinischen Gründen oder aus persönlicher Überzeugung. Gut zu wissen: Es gibt viele andere Möglichkeiten, Beschwerden zu lindern.
Pflanzliche Unterstützung
Pflanzliche Präparate wie jene aus Traubensilberkerze (Cimifemin) haben sich in der Praxis vielfach bewährt, um die Beschwerden zu lindern, ebenso Lavendel (für den Schlaf), Salbei (bei Hitzewallungen) oder Johanniskraut (bei Stimmungsschwankungen).
Pflanzlicher «Hormonersatz»
Eine besondere Rolle spielen sogenannte Phytohormone – also Pflanzenstoffe mit hormonähnlicher Wirkung. Dazu gehören beispielsweise Isoflavone aus Soja oder Leinsamen. Sie ähneln dem körpereigenen Östrogen und können sanft regulierend wirken. Wichtig: Eine fundierte Beratung durch Fachpersonen ist entscheidend – denn über die Ernährung allein ist es schwierig, die passende Dosierung zu erreichen.
Unterstützung durch Mikronährstoffe
Vitamin D unterstützt die Knochengesundheit – besonders wichtig, wenn der Östrogenspiegel sinkt. «Ich empfehle Vitamin D eigentlich allen Frauen, besonders im Winter», sagt Dr. Camastral. «Magnesium am Abend kann zudem entspannend wirken, vor allem bei Einschlafproblemen.»
Komplementäre Methode: Akupunktur
Auch Akupunktur hilft vielen Frauen, etwa bei Hitzewallungen oder innerer Unruhe. Die Methode ist gut verträglich und lässt sich gut mit anderen Ansätzen kombinieren.
Bewegung als Schlüssel
Regelmässige Bewegung verbessert nicht nur das Körpergefühl, sondern beeinflusst auch Stimmung, Schlaf und Gewicht positiv. Sie senkt zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Brustkrebs und stärkt die Knochengesundheit. «Körperlich aktiv zu sein, ist eine der besten Investitionen in die eigene Gesundheit – erst recht in der Perimenopause und der Menopause», betont Karin Camastral.
Kein «Entweder-oder» – oft hilft die Kombination
Viele Frauen entscheiden sich nicht nur für Hormone oder eine pflanzliche Methode – sondern für beides. Die Kombination aus hormoneller Behandlung und ergänzenden Ansätzen wie Akupunktur, Bewegung oder Phytohormonen kann besonders wirksam sein. Wichtig ist, gemeinsam mit einer Fachperson das richtige Vorgehen zu finden.
Fazit: Nicht nur durchhalten – sondern gestalten
Hormone sind kein Muss – aber auch kein Tabu. Wer keine Hormone nehmen will oder darf, hat trotzdem viele Möglichkeiten, etwas gegen Wechseljahrbeschwerden zu tun. Essenziell ist eine fundierte, persönlich begleitete Entscheidung. «Beschwerden sollten wir ernst nehmen und gemeinsam nach Lösungen suchen», sagt Karin Camastral. «Man muss sich nicht einfach durch die Wechseljahre schleppen. Es gibt Wege, sie aktiv zu gestalten.»